Infoblatt 06/2021

Prager Straßenbahnlinie 2

Titelbild: Dies ist keine Werkstatt- oder Überfahrungsfahrt und auch keine Fotosonderfahrt, sondern ein regulärer Planzug der Prager Straßenbahnlinie 2 von Sídliště (Siedlung) Petřiny nach Nádraží (Bahnhof) Braník.

Tatra-Träume trotz Pandemie

Nanu, was kommt denn hier um die Ecke gefahren? Dies ist keine Werkstatt- oder Überfahrungsfahrt und auch keine Fotosonderfahrt, sondern ein regulärer Planzug der Prager Straßenbahnlinie 2 von Sídliště (Siedlung) Petřiny nach Nádraží (Bahnhof) Braník. Unser langjähriger Straßenbahnfreund František Zahnáš aus Prag nahm diese ohne Frage etwas gewöhnungsbedürftige Garnitur am 15.12.2020 am Palackého Náměstí unweit vom Moldauufer auf. Veitsdom und Prager Burg im Hintergrund lassen grüßen. Traktionen in der Kombination T2+T3 (hier Tw. 6003 mit Tw. 6892) hat es zu früheren regulären Betriebszeiten wohl nie gegeben. Auch hatte Prag neben den beiden Baumustertriebwagen 6001 und 6002, die nach erfolgter Erprobungsphase bereits frühzeitig an andere tschechoslowakische Verkehrsbetriebe abgegeben wurden, nie über Serienfahrzeuge vom Typ T2 verfügt. Das heutige Zauberwort an der Moldau heißt dabei „Retro“, womit allerdings keine Neubaufahrzeuge im sog. Retro-Design gemeint sind, sondern ältere Tatra-Triebwagen der ersten und zweiten Generation (überwiegend noch mit herkömmlicher Beschleunigersteuerung), die im Museumspark und als Sonderreserve weiterhin betriebsfähig vorgehalten werden und auch nach wie vor eine Zulassung für den regulären Liniendienst besitzen.

Klassische Tatrawagen in den Farben rotelfenbein sind in Prag bereits seit den 1950er und 1960er Jahren stadtbildprägend und auch heute noch ein unverwechselbares Markenzeichen, was auch für Touristen immer wieder ein ganz besonderer Hingucker ist, verkörpern sie doch noch immer das Flair einer eigentlich schon längst vergangenen Epoche. Auch wenn heute noch immerhin ca. 400 modernisierte Tatra-T3 der dritten Generation (überwiegend mit elektronischer TV-Progress-Steuerung) auf nahezu allen Linien unterwegs sind, darunter auch inzwischen fast 40 Triebwagen der Bauart T3R.PLF mit niederflurigen Mitteleinstiegen, so haben modere Niederflurgarnituren der Typen Skoda 14T (59 Stück) und 15T (ca. 250 Stück) bereits das gesamte Streckennetz flächendeckend erobert. Somit kommen auf den meisten Linien heute sowohl hochflurige, als auch niederflurige bzw. teilniederflurige Kurse meist im Wechsel zum Einsatz, wobei letztere in den Fahrplänen mit einem Behindertensymbol besonders gekennzeichnet sind. Dies gilt freilich auch für die bei Touristen sehr beliebte Straßenbahnlinie 22, die auf ihrer Route von der südöstlichen Altstadt über Nationaltheater und Kleinseite bis zur Prager Burg nahezu alle bekannten Sehenswürdigkeiten rechts und links der Moldau tangiert. Hier muss man als Straßenbahnfreund heute schon etwas Zeit und Geduld mitbringen, um noch eine klassische hochflurige Tatra-Traktion zu erwischen. Prag wäre jedoch nicht Prag, wenn nicht der dortige sehr kreative und traditionsbewusste Verkehrsbetrieb immer wieder neue Ideen entwickeln würde, um den ÖPNV auch für straßenbahninteressierte Besucher der Stadt erlebenswert zu machen. So entstand bereits 2018/19 die Idee, die schon in früheren Jahren existierende Verstärkungslinie 23 wieder zu reaktivieren, die inzwischen als sog. „Retro“-Linie auch auf ihrem aktuellen Linienweg wieder weitgehend der bekannten Linie 22 folgt. Hier kommen ausschließlich Tatrawagen der ersten und zweiten Generation zum Einsatz, wobei neben den beiden 2019 aus Liberec übernommenen Tatra-T2 mit den neuen Betriebsnummern 6003 und 6004 auch vier Prager Museums-T3 mit den Betriebsnummern 6892, 6921 (beide T3 Bauart Prag), 7001 (Prototyp T3SU) und 7269 (Serienfahrzeug T3SUCS im Anlieferungszustand) zu den Stammwagen gehören. Hinzu kommen im Weiteren noch 13 T3SUCS als Sonderreserve im letzten Betriebszustand, die meist als zweite Wagen hinter den Museums-Tw, aber auch solo oder in Traktion zum Einsatz kommen. Ferner gehören zu diesem „Retro“-Park auch noch vier Tatra-T3M mit den Betriebsnummern 8013, 8014, 8042 und 8085 aus der ersten Prager Umbauserie für Thyristorsteuerung, wobei demnächst auch noch ein Tatra-K2 folgen soll.

Da die Linie 23 jedoch pandemiebedingt noch nicht wieder in Betrieb ist, kommen dafür aktuell täglich zwei „Retro“-Kurse auf der Linie 2 sowie je ein Kurs auf den Linien 15 und 18 zum planmäßigen Einsatz, die von den Betriebsstellen Střešovice (Straßenbahnmuseum) und Hloubětín (Hauptwerkstätte) aus eingesetzt werden. Auch Zweirichtungswagen vom Typ KT8D5 sind baustellenbedingt zurzeit wieder verstärkt im Einsatz, wogegen die letzten Wagen vom Typ T6A5 bereits am 19. Juni diesen Jahres endgültig aus dem planmäßigen Liniendienst verabschiedet werden sollen. Ein herzliches Dankeschön an dieser Stelle an František Zahnáš und an alle hier nicht näher genannten Facebook-Freunde aus der tschechischen Republik. (CR)

50 Jahre Magdeburger Straßenbahnfreunde (4) – Wendezeiten

Wendezeiten sind für jeden Straßenbahn- und Busfahrer die immer kürzer werdenden Pausen an den Endpunkten, um Verspätungsminuten auszugleichen, um einen kurzen Ordnungs- und Sicherheitscheck am und im Fahrzeug durchzuführen, um eine Toilette aufzusuchen und um sich auch einmal einen Griff zum Kaffeebecher oder zum Lunchpaket zu genehmigen. Dies alles hat jedoch nichts mit den politischen Ereignissen zu tun, die im Herbst 1989 zunächst mit Massendemonstrationen gegen die Partei- und Staatsführung begannen und die schließlich im Fall der Mauer und im Anschluss der fünf neu gebildeten Länder an die Bundesrepublik Deutschland mündeten.

In den Geschichtsbüchern und in den Medien wird dieser Prozess immer wieder gern als „Deutsche Wiedervereinigung“ bezeichnet, was jedoch von Zeitgenossen, die dieses – und auch die Zeit danach – sehr hautnah erlebt haben, mit sehr gemischten Gefühlen gesehen wird. Nicht ohne Grund gibt es daher auch heute noch eine nicht enden wollende „Ossi“- und „Wessi“-Debatte, die nach mehr als 30 Jahren eigentlich schon längst hätte überwunden sein müssen. Wäre es tatsächlich eine (Wieder-) Vereinigung von zwei vormals selbständigen souveränen Staaten gewesen, so hätten sich in dem neuen gemeinsamen Deutschland doch viele Dinge wiedergefunden, die sich in der ehemaligen DDR im täglichen Leben durchaus bewährt hatten. Dies alles passte jedoch nicht in die angestammten Denkschablonen der sog. „Macher“ der deutschen Einheit, so dass aus der ehemaligen DDR lediglich eine schlecht kopierte „Blaupause“ der alten Bundesrepublik wurde. Dies hatte zur Folge, dass (fast) alles, was irgendwie noch den Anstrich von „DDR“ hatte, „platt gemacht“ und durch teilweise schon recht antiquierte Strukturmodelle der alten BRD ersetzt werden musste.

Dies galt freilich auch für den Deutschen Modelleisenbahnverband (DMV), der auf einem außerordentlichen Verbandstag im Jahr 1990 nur noch seine Selbstauflösung beschließen konnte. Lediglich einige Vorstände aus dem einst mitgliederstärksten Bezirksverband Dresden fassten dabei spontan den Mut, einen Sächsischen Modelleisenbahnverband (SMV) zu gründen, wobei lediglich das voran gestellte „D“ gegen ein „S“ getauscht und das bisherige grünweiße DMV-Logo ansonsten 1:1 übernommen wurde. Dies hätte durchaus ein Erfolgsmodell sein können, um sich als DMV künftig mit eigenständigen Landesverbänden (anstelle der bisherigen Bezirksverbände) neu aufzustellen, wozu dabei lediglich ein Mehrheitsbeschluss eines Verbandstages erforderlich gewesen wäre. Schließlich bestand ja auch für die vergleichbaren Dachverbände in den Alt-Bundesländern (BDEF bzw. MOBA Deutschland) nie eine Veranlassung, wegen der deutschen Einheit ihre bisherigen Statuten und Strukturen in irgendeiner Weise zu verändern.

Somit blieb für viele damalige Arbeitsgemeinschaften im DMV nur der Weg in die Selbstauflösung oder der mutige Schritt zur Gründung eines eingetragenen Vereins (e. V.). Letzteres traf jedoch nur für solche Arbeitsgemeinschaften zu, die sich bereits ein festes Standbein geschaffen hatten und dabei auf gestandene und zuverlässige Partnerschaftsbeziehungen im Territorium bauen konnten. Da unser langjähriges Verhältnis zu den Magdeburger Verkehrsbetrieben (MVB) auch durch die politische Wende zu diesem Zeitpunkt nie zur Disposition stand, wurde bereits 1990 auf Beschluss unserer Mitgliederversammlung die Gründung eines Vereins unter dem Namen „Magdeburger Straßenbahnfreunde e. V.“ in die Wege geleitet, um somit auch eine entsprechende Eintragung im Vereinsregister zu ermöglichen. An der Spitze der bisherigen AG 7/36 gab es in diesem Zusammenhang zugleich einen personellen Wechsel, in dem Jürgen Puchert den Staffelstab von unserem langjährigen Vorsitzenden Peter Raasch übernahm.

Auch an den regelmäßigen Einsätzen unserer historischen Triebwagen 70II und 124II, die bereits seit dem Frühsommer 1986 beide gemeinsam fleißig ihre Runden auf dem Streckennetz der MVB drehten, änderte sich durch die politische Wende zunächst kaum etwas, wobei es als besonderes Highlight in der Regel zweimal im Jahr eine sog. „große Rundfahrt“ über mehrere Stunden gab, die auch immer wieder mit einer sehr großen Resonanz bei den Teilnehmern verbunden war. Neben den Aktivitäten im Zusammenhang mit den historischen Fahrzeugen kam auch der Modellbau keineswegs zu kurz, wobei weiterhin wie bisher in unseren angestammten Räumlichkeiten auf dem Betriebshof Nord regelmäßig an unseren Modellbahnanlagen gewerkelt wurde. (CR)

IKEA: Künftig Bus statt Straßenbahn

Ohne Frage ist es eine freudige Nachricht, dass nun doch bereits im September 2021 die Straßenbahn-Neubaustrecke von der Ebendorfer Chaussee bis zum Kannenstieg (Bauabschnitt 6 der sog. Zweiten-Nord-Süd-Verbindung) eröffnet werden kann – und dies zeitlich noch vor Fertigstellung und Inbetriebnahme der neuen Nordstrecke vom Damaschkeplatz durch das Neustädter Feld bis zum Knoten Ebendorfer Chaussee (BA 4 und 5), was nach aktuellen Informationen frühestens 2025 der Fall sein wird. Eine vorzeitige Inbetriebnahme für den BA 6 war dabei allerdings schon länger im Gespräch, scheiterte jedoch immer wieder am lange fehlenden Planrecht für den BA 5, da das geplante Gleisviereck am Knoten Ebendorfer Chaussee mit den zugehörigen Weichen nur im Komplex bestellt und realisiert werden kann.

Seit Anfang 2021 existiert nun endlich ein Planrecht für den BA 5, wobei man sich relativ kurzfristig zu einer Kompromisslösung dahingehend durchgerungen hat, die Linie 1 künftig nicht mehr zu IKEA, sondern stattdessen zum Kannenstieg verkehren zu lassen. Dafür soll die Buslinie 69 jetzt ersatzweise den weitaus weniger nachgefragten Streckenast zu IKEA bedienen. Mit der endgültigen Fertigstellung der neuen Nordtras-se durch das Neustädter Feld wird es künftig in diesem Bereich auch wieder eine durchgehende Verkehrsanbindung in Richtung Danziger Dorf und Siedlung Birkholzer Weg geben. (CR)

Textbeiträge:

(CR) – Christoph Rudhard

Unser nächstes Infoblatt erscheint vsl. im Monat August.