Von Christoph Rudhard
Schönebeck war bis 1969 Endpunkt der Magdeburger Vorortbahnen. In den Jahren von 1926 bis 1945 führten die Straßenbahngleise noch durch die Salzer Straße bis zum Bahnhof. Nach 1945 endeten sie dann bereits am Polizeiamt in einer Kuppelendstelle. Lediglich ein kurzer Abschnitt über den Marktplatz bis zum Salzturm blieb seit dem als Betriebsstrecke und Abstellgleis erhalten. Damit gehörten die Zeiten, als sich die „Elektrischen“ noch ihren Weg durch die Schönebecker Innenstadt bahnen mußten, endgültig der Vergangenheit an. Als im September 1989 der Plan zum Bau einer neuer Vereinsanlage im Maßstab 1:87 bereits konkrete Formen annahm, entstand während der Bahnfahrt nach einem Besuch mehrerer Modellbahnfreunde im polnischen Krakau die Idee, auf einer Ecke des ersten Anlagenteils den Marktplatz von Schönebeck mit seinen historischen Gebäuden Rathaus und Salzturm nachzubilden. In Anlehnung an die seit den frühen 70er Jahren betriebene 1:75-Anlage wurde auch für den geplanten Neubau zunächst davon ausgegangen, eine reine Phantasieanlage zu errichten, die jedoch straßenbahntypische Gestaltungselemente in ein und zweigleisiger Streckenführung (z. B. Häuserblockumfahrung, Gleisschleife, Abzweig, Gleisdreieck usw.) enthalten sollte. Ferner war auch der Modulgedanke mit einheitlichen Regelschnittstellen an den Plattenübergängen bereits beschlossene Sache, wobei Plattengrößen von 1,20 x 1,20 bzw. 1,20 x 1,80 m realisiert werden sollten.
Aus heutiger Sicht bleibt nebenbei festzuhalten, aß es ein Fehler war, diese Zielstellung Mitte der 90er Jahre beim Bau mehrerer Anlagenteile (mit Rücksicht auf die Abmessungen im damaligen Sudenburger Ausstellungsraum) zeitweise aufzugeben, was uns dann 2000/2001 dazu veranlaßte, zwei der vorhandenen Anlagenteile nachträglich auf die einheitliche Systembreite von 1,20 m zu erweitern.Der ursprünglich an allen Regelschnittstellen vorgesehene Wasserlauf in Plattenmitte mit einer Breite und Tiefe von jeweils 5 cm sowie beidseitigen Böschungen in der Neigung von 1:1,5 wurde später allerdings nicht weiter verfolgt und ist heute nur noch im Bereich von drei Anlagenteilen als sog. „Sonderlösung“ anzutreffen.
Doch zurück in das Jahr 1989. Nur wenige Wochen nach jener denkwürdigen Bahnfahrt folgten Wendezeit und Mauerfall. Der freie Blick in die Welt hinter dem eisernen Vorhang und die D-Mark brachten auch für uns als Modellstraßenbahner ein völliges Umdenken mit sich. Trotz eines zunächst schier unüberschaubaren Modellbahnmarktes konnte man uns jedoch eines nicht nehmen: Unsere langjährigen Erfahrungen im Anlagenbau und im Improvisieren von Lösungen. Nach einigen Monaten Bedenkzeit entstanden schließlich während eines Urlaubsaufenthaltes an der Mecklenburgischen Seenplatte im Mai 1990 die ersten maßstäblichen Entwürfe für das „Muttermodul“ in der Größe von 1,20 m x 1,80 m. Entsprechend dem Gesamtkonzept, das in seinen Grundzügen bereits im Zeitraum 1987/88 vorlag, war vorgesehen, als Ausgangspunkt zunächst die sog. Häuserblockumfahrung als geschlossene eingleisige Strecke mit Ausweiche und zwei zweigleisigen Anschlüssen an den Modulschnittstellen zu bauen, um von Anfang an über einen geschlossenen Kreis zu verfügen.
Ausgehend von den bisherigen Erfahrungen wurde auch für den Neubau auf das bewährte H0-Gleissystem der Fa. Pilz Sebnitz orientiert, was aus heutiger Sicht eine richtige Entscheidung war. Auch die festgeschriebenen Prämissen (Regelgleisabstand 42 mm, kleinster Halbmesser 225 mm und Regelfahrdrahthöhe 70 mm über SO), sie waren bereits zuvor Gegenstand einer Veröffentlichung des Autors im „Modelleisenbahner“ gewesen, erwiesen sich hier von vorn herein als richtige Lösungsansätze. Trotzdem sollten bis zum eigentlichen Baubeginn noch rund zwei Jahre vergehen, wobei im Rahmenbau seiner Zeit die größten Hürden zu nehmen waren. Einfach in den Baumarkt gehen und vorgefertigte Bretter kaufen, um sie dann mittels Stichsäge auf Länge zu schneiden und mit Schrauben an den Eckpunkten zu verbinden, war nach der Denkweise der „alten“ DDR einfach unvorstellbar. Für unser „Schönebeck“-Projekt bekamen wir schließlich nach einigen Monaten Wartezeit mehrere vorgefertigte Bretter von einem Tischler, die wir dann selbst (ohne ausreichende Erfahrungen im Holzbau und mit den damals verfügbaren Werkzeugen) zu einem Rahmen zusammenbauen mußten. Allerdings brachte das fertige Werk dann etliche Kilo auf die Waage, so daß der Rahmen nochmals demontiert und zur Gewichtsersparnis in der Höhe geteilt werden mußte. Als Grundplatte kamen zwei Möbelspanplatten zur Anwendung, die wir zuvor beim Rückbau alter 1:75-Teile gewonnen hatten. Schließlich hatte man uns ja dazu erzogen, kein Material wegzuwerfen, das noch irgendwie zur Wiederverwendung geeignet war.
Im Frühsommer 1992 waren bereits alle Gleise und Weichen auf der Anlagengrundplatte verlegt, so daß ein erster Probebetrieb, zunächst noch ohne Oberleitung, erfolgen konnte. Da die Gleistrasse an zwei Stellen den bereits beschriebenen Wasserlauf kreuzt, war hier der Bau von zwei Straßenbrücken erforderlich, die als Gewölbebrücken im Selbstbau entstehen sollten. Etwas weniger Experimente im Brücken und Gleisbau, auch im Hinblick auf die einzubauenden Weichen, hätten uns hier sicherlich weniger Probleme und Nacharbeiten beschert. Um bereits frühzeitig einen Fahrbetrieb unter Oberleitung aufnehmen zu können, entstand zunächst eine Behelfsfahrleitung mit Einzelmasten aus 5mm-Rundprofilen, wobei uns hier die Erfahrungen aus der früheren 1:75-Anlage zu Gute kamen.
Mit fortschreitender Bebauung wurden die Abspannungen der Querdrähte dann schrittweise in die Gebäude verlegt. Die Bebauung wurde größtenteils mit handelsüblichen Stadthäusern gestaltet, wobei zum Teil auch Um und Eigenbauten an Gebäuden entstanden. Letzteres war besonders im Bereich von Straßenecken erforderlich, die größtenteils im schiefen Winkel ausgeführt wurden, um auf diese Weise eine größere Tiefenwirkung zu erzielen. Entsprechend der angestrebten Zeitepoche (etwa 1968) wurde auf Neubauten bewußt verzichtet. Außerdem wurde ausschließlich auf Gebäude orientiert, wie sie von der Architektur her im Großraum Magdeburg anzutreffen sind. Auch das nördliche Harzvorland mit seinen niedersächsischen Fachwerkhäusern gehört ja durchaus noch zur näheren Umgebung, was uns Anlaß war, einen Teilbereich der Anlage ausschließlich in diesem Baustil zu gestalten. Die weitgehend geschlossene Bebauung wird im Übrigen von vielen Details geprägt. Ob Büsche und Bäume, Telefonzellen, Litfaßsäulen, Verkehrsschilder, Straßenfahrzeuge und nicht zuletzt die unzähligen Figuren, die einzeln oder in Gruppen die Stadtlandschaft „bevölkern“, es wäre müßig, hier alle Details aufzählen zu wollen.
Im Fahrbetrieb kamen zunächst überwiegend LOWA, KSW und Aufbauwagen unterschiedlicher Hersteller aus den privaten Sammlungen unserer Vereinsfreunde zum Einsatz. Heute verkehren dagegen vornehmlich Fahrzeuge nach Magdeburger Vorbild, so u.a. auch die bekannten Vorortbahnwagen, die einst auf der Schönebecker Linie zu Hause waren. Der Betrieb wird dabei über eine reine Handschaltung (ohne Automatik) abgewickelt, was sich in der Praxis übrigens ausgezeichnet bewährt hat. Die anfangs erwähnten Baufehler sollten sich in der Folgezeit allerdings noch bitter rächen, so daß zur Schadensregulierung im Zeitraum 1999/2000 nur der komplette Neubau von Anlagenrahmen und Gleisanlage infrage kam. Allerdings wurden alle Straßen und Gebäude anschließend wieder in alter Lage aufgebaut, so daß der „Ersatzneubau“ heute kaum von dem Erstlingswerk aus der Nachwendezeit zu unterscheiden ist..